Siderischer und Tropischer Tierkreis

In meiner Arbeit kombiniere ich Methoden der klassischen abendländischen, sowie der indischen Astrologie. Dabei lege ich den siderischen Tierkreis zugrunde. Dieser unterscheidet sich von dem tropischen Tierkreis, der im Abendland geläufiger ist. 

Zwei Tierkreise

In der Astrologie kennt man zwei Tierkreise: den tropischen und den siderischen Tierkreis. Beide Tierkreise bestehen aus 12 gleich grossen Abschnitten des Himmels, Tierkreiszeichen genannt. Der Unterschied besteht zunächst nur darin, dass beide Kreise einen unterschiedlichen Ausgangspunkt haben.

Der tropische Tierkreis beginnt an der Stelle, an der sich die Sonne am Frühlingsanfang befindet. Diese nennt man den Frühlingspunkt. Der tropische Tierkreis orientiert sich also an dem Verhältnis der Erde zur Sonne, wodurch u.a. die Jahreszeiten entstehen. Wenn jemand im Abendland sagt, er sei Widder, Stier, etc. so bezieht er sich meistens auf den Stand der Sonne in diesem Tierkreis.

Der siderische Tierkreis teilt den Sternenraum, der das Sonnensystem umgibt, in jene 12 Energiefelder, die wir Tierkreiszeichen nennen. Diese Abschnitte des Himmels beherbergen auch die Sternbilder, die die Namen Widder, Stier, Zwillinge etc. tragen. Der siderische Tierkreis orientiert sich also an der Lage des Sonnensystems zu unserer Galaxie (die Milchstraße). Wenn gesagt wird, wir befänden uns im Fischezeitalter, und träten demnächst ins Wassermannzeitalter usw., dann ist dieser Tierkreis gemeint.

st 001

Der Frühlingspunkt, der den tropischen Tierkreis festlegt, bewegt sich ganz langsam am Sternenhimmel fort. Er wandert also auf dem siderischen Tierkreis. Das hat damit zu tun, dass die Erdkugel in einem Zeitraum von 25770 Jahren eine Kreiselbewegung beschreibt, wodurch sich der Schnittpunkt des Äquators mit der scheinbaren Sonnenbahn am Himmel – also der Frühlingspunkt - verlagert. Diese Bewegung nennt man Präzession.

Vor ca. 1620 Jahren, zur Zeit etwa, gegen Ende der römischen Ära, als das Christentum Staatsreligion wurde, deckten sich beide Tierkreise, sodass der Anfang von Widder im tropischen Zodiak – der Frühlingspunkt - mit dem Anfang von Widder im siderischen Tierkreis übereinstimmte. Da der Frühlingspunkt sich rückwärts durch den siderischen Tierkreis bewegt, ist er damals von dem siderischen Zeichen Widder in das Zeichen Fische gewechselt. Man kann also sagen, dass damals das Fischezeitalter begann.

Heute besteht zwischen den Zeichenanfängen beider Tierkreise ein Unterschied von fast 23 Grad (23°). Der Frühlingspunkt befindet sich also zur Zeit im ersten Abschnitt des Zeichens Fische, bei 7° bis 8°. Den Abstand des Frühlingspunktes zum siderischen Widderanfang nennt man Ayanamsha.

Das bedeutet, dass z.B. jemand, der am 1. April geboren ist, seine Sonne auf ca. 11° Widder hat, wenn man den tropischen Tierkreis meint. Er hat sie aber auf ca. 19° Fische, wenn man den siderischen Tierkreis zugrundelegt.

 

Widerspruch oder Ergänzung?

Wenn wir davon ausgehen, dass beide Tierkreise eine unterschiedliche Information liefern, dann ist die Existenz beider Systeme an sich kein Problem. Man müsste nur definieren, auf welche Ebene der Wirklichkeit sich etwa das siderische Zeichen Stier auf der einen, und der gleichnamige tropische Abschnitt auf der anderen Seite bezieht.

Es ist aber vielmehr so, dass im Abendland ein tropischer Tierkreis verwendet wird, mit derselben Bedeutung wie sie die Inder dem siderischen Tierkreis beimessen.
Zum Beispiel: Beide astrologischen Systeme gehen davon aus, dass Venus – der Planet der Liebe, Erotik und Lebensfreude - im Zeichen Waage in seinem „Domizil” ist, und deshalb dieser Planet in diesem Zeichen besonders kraftvoll seine Qualitäten entfalten kann, während Venus im Zeichen Jungfrau im „Fall” ist – das Gegenteil von der „Erhöhung” - womit gemeint ist, dass die Dinge, die mit Venus zu tun haben, in diesem Zeichen mehr „Probleme” bereiten. Berechnen wir nun ein Horoskop mit dem tropischen Tierkreis, so könnte es passieren, dass Venus im Zeichen Waage steht, während im siderischen Zodiak diese Stellung als Venus in Jungfrau erscheinen würde – wie etwa im Horoskop von Bill Clinton. Wenn wir also auf beide Tierkreise genau dieselbe Logik anwenden, dann haben wir tatsächlich sich widersprechende Aussagen.

 

Der siderische Zodiak und die klassische Astrologie

Diese eben erwähnte Zuordnung zwischen Planet und Zeichen ist ein zentrales Element der hermetischen Deutungslehre. Diese bildet die Grundlage auch der abendländischen Astrologie, und deckt sich in weiten Teilen mit der indischen Überlieferung.

Die meisten Astrologen im Westen gehen davon aus, dass der Tierkreis, den die Griechen benutzten, eben der tropische war. Nach neueren Erkenntnissen muss diese Theorie revidiert werden.

Die Griechen haben das astrologische Wissen vor allem von den Babyloniern übernommen, und diese Astrologen benutzten eindeutig einen siderischen Tierkreis. Auch viele griechische und römische Astrologen und sogar die Araber rechneten mit einem siderischen Tierkreis, wie eine Vielfalt von Zeugnissen belegt.

Unter den Griechen gab es aber auch Astronomen, die damit begannen, den Tierkreis tropisch zu definieren. Dies wurde auch von manchen Astrologen so übernommen, wie der berühmte Claudius Ptolomäus, der gleichzeitig das Weltbild prägte, das im Mittelalter vorherrschte. Nach Übernahm der astrologischen Lehren von den Arabern hat sich dieser Tierkreis schliesslich in der abendländischen Astrologie durchgesetzt.

Ursprünglich war das kein grosses Problem, da sich beide Tierkreise einigermassen deckten. Man kann aber beobachten, dass die modernere abendländische Astrologie den erwähnten Zusammenhängen zwischen Planet und Zeichen immer weniger Gewicht verleiht, und teilweise völlig ausser Acht lässt. Bei den Indern ist das anders. Hier wird an dem (siderischen) Zodiak mit seinen Domizilen und Erhöhungen nicht gezweifelt. Im Gegenteil, die indische Astrologie hat das klassische Konzept des Tierkreises viel weiter entwickelt, als es der Westen getan hat.

Es zeigt sich in der Praxis, dass die Anwendung der klassischen Regeln – sowohl aus der griechisch-arabischen wie aus der indischen Astrologie - klarere Deutungen liefert, wenn wir sie auf dem siderischen Zodiak beziehen.

Das heisst nun nicht, dass der tropische Zodiak irrelevant wäre. Es gilt vielmehr, die Zuständigkeit beider Tierkreise zu definieren.

 

Die Bedeutung der beiden Tierkreise

Man kann sagen, der siderische Tierkreis beschreibt das galaktische Energiefeld, in das unser Sonnensystem mit den Planeten eingebettet ist. Es ist das Umfeld, in dem sich die Sonne und die Planeten bewegen. So betrachtet macht es auch Sinn, von Domizilen usw. der Planeten zu sprechen. Die Lage des siderischen Tierkreises lässt sich entsprechend auch ableiten aus ihrem harmonischen Verhältnis zum galaktischen Äquator. Diese Definition des Tierkreises werde ich in einer kommenden Publikation näher erörtern.

Der siderische Tierkreis beschreibt 12 kosmische Archetypen, die in enger Verbindung zu den Planeten, insbesondere zu Mond, Sonne und den 5 sichtbaren Planeten stehen. Typische Charaktermerkmale und Schicksalstendenzen, die einen Menschen prägen, sind in erster Linie von diesem Tierkreis abzuleiten.

Die sogenannten Häuser des Horoskops sind ebenfalls zwölf, ihr Anfangspunkt ist aber der Aszendent, also der Schnittpunkt zwischen Tierkreis und Horizont. Der Aszendent ist ortsspezifisch, und ändert sich innerhalb von Minuten aufgrund der Erdrotation. Jedes Haus wird von einem anderen Zeichen besetzt bzw. ausgefüllt, und der Planet, der in dem jeweiligen Zeichen sein Domizil hat, „herrscht” über diese Häuser. Die Häuser beschreiben aber nicht Charaktermerkmale, sondern bestimmte Lebensthemen, mit denen jeder von uns konfrontiert ist, wie etwa Beruf, Familie oder Partnerschaft.

Was ist nun der tropische Zodiak? Wir können dessen Bedeutung von den astronomischen Zusammenhängen ableiten:

Ich hatte anfangs erklärt, das der tropische Zodiak mit dem Frühlingspunkt beginnt, und im Grunde die Bewegung der Erde um die Sonne beschreibt. Es handelt sich also nicht um eine Sphäre, welche das Planetensystem umschliesst, sondern um ein erdeigenes Feld, das von der Bewegung der Erde um die Sonne erzeugt wird. Auch die Verlagerung des Frühlingspunktes wird von einer Erdbewegung hervorgerufen.

Die Häuser beschreiben also ein Ortsfeld, die tropischen Zeichen ein Erdfeld, und die siderischen Zeichen das galaktische Feld, in dem sich das Sonnensystem bewegt. Daher ist davon auszugehen, dass die Domizile usw. der Planeten nicht auf die tropischen Zeichen zu beziehen sind - zumindest nicht in der Form, wie es uns die alte Astrologie lehrt – sondern auf den siderischen Tierkreis.

Die Wanderung des Frühlingspunktes durch den siderischen Tierkreis ergibt grössere geschichtliche Epochen, in denen die Menschheit eine bestimmte Entwicklung durchmacht und entsprechende Mythen, Religionen und Weltanschauungen hervorbringt. Man kann also sagen, dass der Frühlingspunkt der „Aszendent der Welt” ist. Es stellt die Allgemeinheit, das Kollektiv dar, so wie der Aszendent das Individuum darstellt. Und so wie die Häuser unterschiedliche persönliche Interessensgebiete beschreiben, so beschreiben die tropischen Tierkreiszeichen, wie die Allgemeinheit im Laufe der Geschichte mit den unterschiedlichen kollektiven Erfahrungsbereichen umgeht. Jeder von uns hat natürlich auch einen Bezug zu solchen kollektiven Themen, und dies wäre durch den tropischen Zodiak beschrieben.

Für eine nähere Darstellung des Themas siehe auch den Artikel >>Zurück zu den Sternen.

 

Newsletter

Abonnieren Sie hier meine aktuellen Nachrichten, die 4 bis 5 mal im Jahr erscheinen.

matrix1

Rafael Gil Brand

HIMMLISCHE MATRIX - Die Bedeutung der Würden in der Astrologie

600 Seiten, gebunden, Chiron Verlag, Mössingen, 2014

Kaufen beim >> Chiron Verlag

Login