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Die Signifikatoren von Vater und Mutter in der klassischen Astrologie

Eine kurzer Artikel zu diesem Thema, auf der Grundlage einiger Beiträge von mir im DAV-Forum "Klassische und Stundenastrologie".

 

Die hellenstische, die arabische, die indische und europäische Klassik sind sich in der Auswahl der natürlichen Signifikatoren für Vater und Mutter einig:

Bei einer Taggeburt ist Sonne Signifikator des Vaters, bei einer Nachtgeburt ist das Saturn. 
Bei einer Taggeburt ist Venus Signifikator der Mutter, bei einer Nachtgeburt ist das Mond.

Die indische Jaimini-Astrologie (eine spezielle klassische Richtung) ergänzt, dass die physische Existenz des Vaters an der Sonne und an Venus , und die der Mutter an Mond und Mars zu sehen ist (je nachdem welcher Planet stärker ist). Diese sogenannten fixen Signifikatoren (bei denen es ausschließlich um verwandte Personen geht) werden dann speziell für das Timing des Todes von Vater und Mutter angewandt. Diese Zuordnung von Venus zum Vater und von Mars zur Mutter hat folgende Bewandtnis, die auch aus der westlichen Klassik heraus nachvollziehbar ist:

Venus steht für den männlichen Samen, und Mars steht für die Eizelle (bzw. für das Menstruationsblut). Die Jaimini-Astrologie sieht hier also den physischen Aspekt von Vater und Mutter.

Erläuterung über die sogenannten "veränderlichen Signifikatoren" aus der vedischen Astrologie erspare ich mir, denn das würde zu weit weg von der westlichen Klassik führen.

Bei den Griechen wäre genauer zu untersuchen, ob wirklich immer der Automatismus Tag/Nacht-Geburt gemeint war. Es gibt Stellen in der griechischen Literatur, die eher von einem zusätzlichen Bezug zu Haus 4 sprechen, den Saturn oder Sonne bzw. Venus oder Mond haben sollten, um als Signifikatoren für Vater und Mutter zu fungieren.

Womit wir bei den Häusern wären, und da gehen die Meinungen auseinander: Die Griechen sahen das vierte Haus als das Haus der Eltern an. Sie unterschieden nicht ein Haus für Mutter und für Vater. Da es sich allerdings um eine stark patriarchalische Gesellschaftsform handelte, bekommt man gelegentlich den Eindruck, dass in erster Linie der Vater, der "pater familias" bzw. das "Familienoberhaupt" mit diesem Haus identifiziert wurde. Dann würde aber eindeutig die Mutter fehlen.

Die Araber oder Perser lehren dann, dass das vierte Haus dem Vater und das zehnte Haus der Mutter gehört. Ich persönlich bin da sehr skeptisch, ob sich da nicht ein Missverständnis eingeschlichen hat. Vettius Valens spricht an einer Stelle davon, dass das neunte Haus - Freude der Sonne - dem Vater und das dritte Haus - Freude des Mondes - der Mutter zuzuordnen ist. Er scheint aber dann nicht wirklich Gebrauch davon zu machen.

Die indische Klassik wiederum nennt das neunte und das zehnte Haus für den Vater, und das vierte für die Mutter. Wobei sich das neunte Haus für den Vater generell mehr durchgesetzt hat. Das kann ich persönich wesentlich besser nachvollziehen, sowohl theoretisch wie auch praktisch: Das vierte Haus steht im Verbindung mit unserer Urerfahrung von Geborgenheit. Die Person, die diese Erfahrung ursprünglich vermittelt (allein schon durch die Schwangerschaft), ist die Mutter. Das neunte Haus wiederum repräsentiert unsere Erfahrung mit den Meistern, und auch hier ist der Vater archetypischerweise derjenige, der das Kind lehrt und einweiht. Dennoch macht auch das zehnte Haus als Ableitung vom vierten (=Gatte der Mutter) viel Sinn.

Die europäische Klassik des 19.-20ten Jahrhunderts hat dann, wahrscheinlich von den Indern (über die Theosophie), die Zuordnung Haus 10 = Vater und Haus 4 = Mutter übernommen. Entsprechend wären die über diese Häuser herrschenden Planeten (je nach System) die akzidentellen Signifikatoren für Vater bzw. Mutter.

Zu guter Letzt haben wir die Lospunkte:

Lospunkt der Mutter: Asz + Mond - Venus bei Tag; Asz + Venus - Mond bei Nacht 
Lospunkt des Vaters: Asz + Saturn - Sonne bei Tag; Asz + Sonne - Saturn bei Nacht

Einige Griechen sagen auch, wenn Saturn verbrannt sein, dann soll man ihn durch Jupiter ersetzen.

Meine oben erwähnte Vermutung, die Zuordnung des zehnten Hauses zur Mutter sei Produkt einer fehlerhaften Übersetzung, möchte ich nun anhand einiger Zitate versuchen zu belegen.

Die hellenistische Astrologie betont immer wieder, dass das vierte Haus das Haus der Eltern ist, darüber gibt es Konsens. Die einzigen eindeutigen Signifikatoren für Vater bzw. Mutter sind nach damaliger Auffassung nur die Planeten, die ich anfangs aufgezählt habe.

Es gibt zugegebenermaßen eine Ausnahme bei Thrasyllus und eine bei Valens, auf die ich am Ende eingehe, weil sie sehr speziell ist. Ich zitiere hier aus den Quellentexten, die mir zur Verfügung stehen:

Antiochos: 
"...der vierte Ort heiße Haus und Herd und sei Anzeiger von Schätzen und edler Abstammung und von Unterirdischem und dergleichen,.... das zehnte heiße der Scheitel des Lebens, er begünstige Ruhm und Aktivität (besser: Tätigkeit), und Kunstfertigkeit, das mittlere Lebensalter und Lebensglück."

Paulus Alexandrinus: 
"Das vierte Zeichen vom Horoskop aus... bedeutet die Zeit des hohen Alters, das Ende des Lebens, das Aufbahren des Körpers, und alle Dinge nach dem Tod. Es ist der Ort, der Grundstücke und Fundamente betrifft, und ist ein Anzeiger für alles, was die Eltern, das Vaterland, Heim, Dauerhaftigkeit und Haushaltsgüter anbelangt. Manchmal begünstigt es den Erwerb von Schiffen und wässrigen Orten."

Firmicus Maternus (Übersetzung von Hagall Thorsonn): 
"Der vierte Ort zeigt uns die Eltern, das ererbte Vermögen, die beweglichen Grundlagen des Geborenen und alles, was sich auf die Erbmasse von Elternseite her bezieht, auch wenn sie zur Zeit latent ist"

Die alternative Übersetzung von Jean Rhys Bram lautet: "Der vierte Ort zeigt Familienbesitz, Substanz, Besitztümer, Haushaltsgüter, alles, was sich auf verborgene oder wiedergefundene Reichtümer bezieht".

Thrasyllus: 
"Der unterirdische Ort (viertes Haus) betrifft die Eltern" (keine Angaben zum zehnten an dieser Stelle)

Thrasyllus zitiert nun auch eine Überlieferung des Hermes Trismegistos, wonach es heißt (und hier ist eine zweideutige Stelle):
"... das vierte Zeichen nennt er die Grundlage des Glücks, Anzeiger von väterlichen Umständen und den Erwerb von Sklaven; ...Himmelsmitte, sagt er, sei Lebensunterhalt und Leben, zeigt Kinder und Zeugung und Handlung und Ehre und Herrschen und Führen".

Inwieweit die "väterlichen Umstände" sich im Originaltext wirklich nur auf Väter bezieht, kann ich nicht beurteilen.

Und nun zu Vettius Valens: Im siebten Kapitel des zweiten Buches, das die Überschrift "die Himmelsmitte" trägt, werden weder Vater noch Mutter in keinster Weise erwähnt. Es geht nur um Erfolg und zusätzlich um Fruchtbarkeit. Hier einige Ausschnitte:

"Wenn Wohtäter auf diesem Ort stehen.... werden Herrscher und Könige gemacht... Wenn der Herrscher dieses Ortes gut gestellt ist, macht er solche, die effektiv sind.... Wenn er im siebten Haus steht und ein Übeltäter bei ihm ist oder in Opposition, macht er solche, die Übles tun und solche, die unfruchtbar oder ohne Kinder sind."

Im dreizehnten Kapitel - "der vierte, unterirdische Ort" - geht es zunächst um priesterliche Tätigkeiten und um göttliche Botschaften, dann eine Angabe über Mars an diesem Ort, und dann: 
"Man muss genau beachten, dass dieser Ort Preisungen nach dem Tod und Vermächtnisse für die eigene Familie erzeugt. Sollten sich Übeltäter an diesem Ort befinden, vermachen die Geborenen ihr Besitz wem sie wollen".

Im vierten Buch schreibt Vettius Valens dann (und jetzt kommt die Ausnahme): 
"Der vierte (Ort): Reputation, Vater, Kinder, eigene Frau und ältere Personen, was einer tut, Stadt, Haushalt, Besitztümer, Verweilen, Vegeltung, Ortswechsel, Gefahren, Tod, Einschränkungen, mystische Dinge.... Der zehnte: Ort dessen, was einer tut, Reputation, Fortschritt, Kinder, Ehefrau, Veränderung, Erneuerung von Dingen"

Man muss aber bedenken, dass sich diese letzte Zuordnung aus dem vierten Buch auf die Profektionen bezieht, also auf den zehnten bzw. vierten Ort ausgehend von einem bestimmten Faktor - nicht nur vom Aszendenten. Wie man sieht, vermischen sich augenfällig Elemente aus dem vierten und dem zehnten Haus. Und er selbst erklärt auch anschließend:

"Jeder Ort also, produziert das was er bedeutet, aber es kooperiert auch die Natur des Ortes des gegenüberliegenden Zeichens". Ich finde also, dass diese Stelle von Valens nicht als Beweis herangezogen werden darf, dass die Griechen das vierte Haus ausschließlich für den Vater (und nicht für die Mutter) nahmen.

Dorotheus, Ptolomäus und Hephaiston haben keine Aufzählung der Häuserbedeutungen. Aber aus allen dreien wird deutlich, dass die Signifikatoren der Eltern allein die Planeten sind (Sonne, Mond etc).

Und nun gibt es eine Stelle, die möglicherweise zur Zuordnung des zehnten Hauses zur Mutter geführt hat.

Ptolomäus schreibt im dritten Buch, im Kapitel "über Geschwister" (!), nach Übersetzung von Robbins:
"...es sollte natürlicherweise entnommen werden, wenn es um die Frage der blutsverwandten Geschwister geht, aus dem kulminierenden Ort, dem Ort der Mutter, das heißt jenem (Ort), der bei Tag Venus und bei Nacht de Mond enthält; denn dieses Zeichen und das ihm folgende ist der Ort der Kinder der Mutter..."

Robbins erwähnt die Schwierigkeit dieser Textstelle und teilt mit, dass Proclus und Camerarius ein "und" eingeführt haben, do dass es bei ihnen heißt: "dem kulminierenden Ort und dem Ort der Mutter". Er hält dies aber offenbar für eine Korruption des Originals.

Robert Hand meint, dass eine umsichtige Übersetzung von Ptolomäus lauten müsste: "das, was allein die Kinder derselben Mutter betrifft, wäre natürlicherweise zu entnehmen dem kulminierenden Zwölftel vom Ort der Mutter aus, das heißt, vom Ort, der Afrodite bei Tag und den Mond bei Nacht enthält. Dies ist es, weshalb dieses Zeichen und das ihm nachfolgende zu den Örtern gemacht werden, die die Kinder der Mutter betreffen".

Hephaiston hat jedenfalls daraus gemacht: 
"..finde die Anzahl der Kinder aus derselben Mutter vom kulminierenden Ort und dem ihm nachfolgenden Ort; denn sie umfassen beide den mütterlichen Ort und den Ort der Kinder."

Man muss wissen, dass Hephaiston über weite Strecken Ptolomäus zitiert, so auch an dieser Stelle, allerdings in einer schon veränderten - und vereinfachten - Variante. Und man muss auch wissen, dass bei den Griechen das zehnte und das elfte Haus Häuser der Kinder sind. Die Übersetzung von Robbins und vor allem von R.Schmidt/R.Hand scheinen mir also sehr schlüssig: das zehnte und elfte Haus von Venus oder Mond sind die Kinder der Mutter, ergo der eigenen Geschwister. Und durch schlechte Überlieferung ist daraus geworden, dass das zehnte Haus das Haus der Mutter ist.

Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass diese korrumpierte und dann falsch wiedergegebene Stelle bei Ptolomäus dazu geführt hat, dass die Araber (bzw. Perser) das zehnte Haus der Mutter zuordneten. Aber sicherlich hat dazu auch die herrschende patriarchalische Auffassung beigetragen, wonach der Vater eben das Haupt der Familie war. Und aus der allgemeinen Zuordnung des vierten Hauses zur Familie konnte leicht eine Identifizierung mit dem Vater werden. Vielleicht brachte das ptolomäische Zitat die Astrologen auf die Idee, und das Verständnis des Vaters als Hauptperson der Familie, bzw. die Ableitung des siebten Hauses vom vierten, machte diese Interpretation der Ptolomäustextes plausibel. So oder so ähnlich kann es gewesen sein.

Dennoch bleibt die Zuordnung des zehnten Hauses zur Mutter bei der Arabern eine sekundäre, ergänzende. Bei genauerer Betrachtung dieses Thema in Ali ben Ragels Büchern über Nativitäten fällt folgendes auf:

  1. Das Thema der Mutter wird zusammen mit dem des Vaters im Kapitel über das vierte Haus abgehandelt. Das Kapitel "Über die Bedeutungen des vierten Hauses" fängt auch mit den Worten an: "Dieses Haus bedeutet vor allem, der Zustand der Eltern usw. .."
  2. Die wichtigsten Signifikatoren für die Mutter sind auch hier eindeutig Mond und Venus, sowie der Punkt der Mutter. Der MC wird eigentlich nur erwähnt im Zusammenhang mit Direktionen, um die Lebensänge der Mutter zu ergründen, ansonsten spielt er keine Rolle.
  3. Die Kapitel über die Themen des zehnten Hauses behandeln nirgendwo die Mutter, und sie wird auch nicht erwähnt unter den speziellen Bedeutungen des zehnten Hauses.

Etwas analoges finde ich bei Albubather: In den Kapiteln über das vierte Haus geht es sehr viel um Angelegenheiten beider Eltern. Im Abschnitt "Über den Zustand der Mutter" erscheint dann das MC als eines der Orte, aus denen man den Almuten der Mutter entnimmt. Und später, in den Kapiteln über das zehnte Haus, geht es ausschließlch um Herrschaft und Ehren.

Es klingt also danach, dass bei den Arabern der MC und das zehnte Haus nicht gerade als wichtiger Signifikator für die Mutter angesehen wurde, sondern dies eher eine nebensächliche Bedeutung des zehnten Hauses war.

Ich persönlich ziehe die klassische Deutung vor, wonach das vierte Haus das Elternhaus darstellt, allerdings mit einer besonderen Betonung der Mutter. Ansonsten halte ich die indische Zuordnung des neunten Hauses zum Vater für sehr stimmig, wenn auch ergänzend zum vierten Haus.

 

Rafael Gil Brand

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